
Boomerang
Piano Solo Debut Album
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Release: 17. Januar 2025
Label: Hey!Jazz
CD / Vinyl / Digital
Jazz
47min 22sec
15 tracks
Rec.: Funkhaus Berlin Studio #3
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Listen & Download: bandcamp
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Jedes Album erzählt seine eigene Geschichte, und jedes erzählt diese auf seine ganz unverwechselbare Weise. Eine gute Geschichte reflektiert sich immer selbst und findet im besten Fall zu sich selbst zurück. Wie ein Boomerang.
Solo-Alben auf dem Klavier gibt es ja im Jazz zuhauf. Die Wahrscheinlichkeit, auf den 88 Tasten eine neue Geschichte so zu erzählen, wie sie noch nie erhöht worden ist, konvergiert eigentlich gegen Null, und doch gibt es immer noch Pianisten wie den Berliner Tastenmagier Lennart Smidt, denen das trotz allem gelingt. Auf seinem Soloalbum „Boomerang“ offenbart sich vom ersten Augenblick an eine höchst individuelle Erzählhaltung, die den Hörer in seinen Bann unweigerlich zieht. Seine Geschichten sind kleinteilig, ja zeitweise von einer molekular anmutenden narrativen Dringlichkeit, die sich in einem Delta vorauseilender Erinnerungen verliert, um sich stets im Mündungswasser der visionären Horizonterweiterung neu zu sammeln.
Töne und Melodien, die nur darauf warten, zu Erzählungen verdichtet an eine Hörerschaft weitergegeben zu werden. Er kann zugleich ein ganzes Orchester sein wie auch ein einsamer Träumer. Smidts persönlicher Zugang erscheint ebenso simpel wie einleuchtend: „Die Stücke waren einfach da. Viele von ihnen hatte ich schon live gespielt. Wenn du dann im Studio bist, stellt sich die Frage, wie soll das jetzt zu einem gemeinsamen Erzählstrang werden. Wo liegt die Energie? Ich liebe diesen Austausch. Du hast das Material und deine eigenen Gefühle dazu. Das musst du miteinander verhandeln. Was passt zusammen, was spricht, was spricht nicht? Ich wollte einfach, dass die Leute das hören können.“
Smidt führt uns gerade im Solospiel sehr eindrucksvoll vor Augen, dass vermeintliche Grundfesten wie Improvisation und Komposition nur Klischees sind. Selbst oft wiederholte Floskeln wie „Komposition ist langsame Improvisation“ helfen nicht weiter, um sich auf Smidts spielerische Exkurse einzulassen. Es zählt einzig, was man hört, wann sich was auf welche Weise im Kopf manifestiert und über die Finger auf die Tasten umgeleitet wird, ist ganz und gar nebensächlich. Lennart Smidts Musik ist weder improvisiert noch komponiert, sie passiert einfach. Die Stücke entstehen aus dem Spiel, nehmen eine Form an und landen im Ohr der Hörenden.
Die Zeit auf “Boomerang” vergeht wie im Fluge, das Programm ist kurzweilig und höchst unterhaltsam. Wenn man den meist kurzen Stücken folgt, materialisiert sich Lennart Smidt vor dem sehenden Ohr, auf das man meint, ihm beim Ersinnen der Songs und sich selbst Zuhören buchstäblich beobachten zu können. Dabei überträgt sich eine höchst positive Energie, die ganz unterschiedliche Assoziationen weckt. Manches erinnert an eine Berliner Variante des Harlem Stride, anderes an Klassikanleihen von Chopin bis Satie oder impressionistische Ragtimes, wieder anderes an Monk oder die aufs Piano gebannte Urgewalt des Punk. Limitierungen oder kategorische Grenzen gibt es für den Berliner nicht. Im Gegenteil, die angstbefreite Übertretung ist sein Markenzeichen.
Letzteres trifft insbesondere auf den Umgang mit seinem Instrument zu. Tatsächlich tritt Smidt auf zwei Pianos in Aktion, einem Flügel und einem Standklavier, und für einige Stücke wurde ein zusätzliches Filzpedal an den Flügel montiert, um dessen Soundpalette zu erweitern. Von diesen Fragen des konkreten Klangmobiliars abgesehen spielt Smidt nicht einfach nur Klavier, sondern liefert uns eine ganze Reihe von Varianten, was Klavier sein kann. Es kann alt oder neu klingen, ein E-Piano oder eine Marimba imitieren, laufen, sprechen und hüpfen, aber auch träumen oder ungeachtet der Schwerkraft vom Boden abheben. Mal schrumpft Smidt das Piano auf die Größe einer Mundharmonika, die er in die Hosentasche stecken kann, ein andermal wölbt er es zu einem riesigen Raum, in dem die ganze Wucht der europäischen Musikgeschichte kulminiert. Spontaneität und Sorgfalt halten dabei eine ebenso wohltuende Balance wie wilde spielerische Leidenschaft und mikroskopische Präzisionsarbeit. Der facettenreiche Plot von „Boomerang“ ist so dicht gewebt, dass sich die subtile Soundwelt, mit der Smidt all seine Szenen zusammenhält, wie bei einem guten Film womöglich erst beim zweiten oder dritten Hören erschließt. Je öfter man das Album hört, desto mehr Entdeckungen kann man machen. „Mir ist es wichtig, stets das richtige Gefühl zu finden“, bekennt Smidt. „Das Mittel dazu ist mir egal. Oft ist es schwieriger, mit vielen Noten genauso viel zu sagen wie mit wenigen Noten. Beides entfesselt unterschiedliche Kräfte.“
„Boomerang“ ist eine Rückkehr. Lennart Smidt ist vor vielen Jahren von Hannover aus in die Welt hinausgezogen. Sein Weg führte über Berlin nach Groningen, von dort nach Brasilien und dann den ganzen Weg zurück über Amsterdam und Hannover nach Berlin. Auf all diesen Stationen spielte er solo. Zurück in Berlin fühlt sich diese Reise an wie ein musikalischer Boomerang, auf dem er viele Impressionen eingesammelt und auf seinem Solo-Debüt kulminiert hat.
Eine Referenz für Lennart Smidt zu finden, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Musik auf „Boomerang“ zeugt von einer genuin schöpferischen Urkraft, die sich aus dem eigenen Genius speist. Lennart Smidt ist Lennart Smidt, und sonst nichts. Das unterscheidet ihn von allen anderen Pianisten auf der Welt.
